Musethica: Musikerausbildung mit sozialer Wirkung
Musethica ist eine Ausbildungsmethode, die ausgewählten jungen Musiker*innen die Möglichkeit bietet, als integraler Bestandteil ihres Studiums eine große Anzahl von Konzerten zu spielen. Im Rahmen von einwöchigen Sessions geben Professor*innen und Studierende weltweit führender Musikhochschulen und Akademien gemeinsam Konzerte in Einrichtungen, die von sozial Benachteiligten bewohnt oder genutzt werden und im Schatten öffentlicher Aufmerksamkeit stehen. Musethica Konzerte sind für alle Teile der Gesellschaft zugänglich und richten sich vor allem an Menschen, die aufgrund ihrer jeweiligen Lebenssituation nicht die Möglichkeit haben, ein Konzert zu besuchen. Die Musiker*innen spielen für Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen, für Obdachlose, Geflüchtete, Gefangene und Senior*innen, in Schulen, Nachbarschaftszentren, Krankenhäusern, Hospizen, Frauenhäusern und auf vielen weiteren ungewöhnlichen Bühnen. Mindestens 85 Prozent der Konzerte finden in sozialen und pädagogischen Einrichtungen statt und sind immer kostenlos. Am Ende einer Musethica Session findet in der Regel ein öffentliches Konzert in einem Konzertsaal statt.
Das Ziel von Musethica ist es, als Kurs ein fester Bestandteil der Ausbildung an Musikuniversitäten, Akademien und Konservatorien in Deutschland und anderen Ländern zu werden.
Kann man Inspiration lehren?
Musethica wurde aus einem Bedürfnis heraus entwickelt, das bisher in der klassischen Musikausbildung nur wenig Berücksichtigung fand: Das regelmäßige Spielen vor Publikum.
Die Aufgabe und Befähigung der Musiker*innen, Brücke zwischen einer musikalischen Komposition und dem Zuhörenden zu sein, kann nicht ausschließlich in einem Proberaum erlernt werden. Um ihr Instrument zur größtmöglichen Wirkung zu bringen brauchen die künftigen Berufsmusiker*innen die Begegnung mit dem Publikum.
Das intensive Trainingsprogramm von Musethica zeichnet sich während der einwöchigen Sessions durch die enorme musikalische Herausforderung aus, im Durchschnitt etwa 12-14 Konzerte zu spielen. Jenseits des von Wettbewerb geprägten Hochschulalltags gelingt es den Musiker*innen in unmittelbarer Resonanz mit dem Publikum, ihr Konzentrationsvermögen und ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Musiker*innen und Publikum können von einander lernen und was es heißt, sich selbst und andere zu hören.
An allen Orten, sei es in der Philharmonie oder im Kindergarten, nehmen die Musiker*innen die Konzerte sehr ernst und behandeln ihr Publikum mit großem Respekt. Es handelt sich nicht um ein musikpädagogisches Programm mit Erläuterungen und Belehrungen. Die Musik spricht für sich selbst. Nach jedem Konzert gibt es Zeit für einen ungezwungenen Dialog zwischen Publikum und Musiker*innen. Dies führt zu berührenden Begegnungen.
Durch die hohe musikalische Qualität entfaltet das Konzept von Musethica seine soziale Wirkung. Die Erfahrung zeigt eine starke Korrelation zwischen der musikalischen Qualität und der Aufmerksamkeit der Zuhörenden.
Die Musiker*innen werden in einem Bewerbungsprozess durch Musethica’s Internationale Jury ausgewählt. Zusammen mit den Tutor*innen studieren die Studierenden ein Repertoire ein, das sie dann gemeinsam während einer Musethica-Session viele Male vor verschiedenen Menschen aufführen. Bei den Tutor*innen handelt es sich um international erfolgreiche Solist*innen und Professor*innen weltweit führender Musikuniversitäten. Durch die Teilnahme an dem Ausbildungsprogramm machen die Musiker*innen in kurzer Zeit beeindruckende Fortschritte. Sie lernen auf intuitive Art zu spielen und durch die Musik zu kommunizieren.
Vom Publikum Lernen
Zu diesem Prozess trägt das außergewöhnliche Publikum in den sozialen und pädagogischen Einrichtungen ganz unmittelbar bei: Das Publikum ist klassische Musik nicht unbedingt gewohnt. Häufig zeigen die Senior*innen oder junge Menschen mit und ohne geistige oder körperliche Einschränkungen ihre emotionalen Reaktionen auf die Musik – positiv wie negativ – völlig frei von Konventionen.
Die direkte Resonanz des Publikums stellt für die jungen Musiker*innen eine seltene Erfahrung dar, die sie in der Regel weder aus Musikhochschulen noch aus Konzertsälen kennen. Diese Erfahrung eröffnet ihnen eine neue Perspektive auf ihre Rolle als Musiker*innen und ihre wichtige gesellschaftliche Funktion.
Musethica wurde 2012 von dem Bratschisten Avri Levitan und Carmen Marcuello, Professorin für Sozialwirtschaft, in Saragossa, Spanien gegründet.
Seit 2013 gibt es den Musethica e.V. in Deutschland.
Mittlerweile ist Musethica in 10 Ländern aktiv: Deutschland, Spanien, Frankreich, Israel, Polen, China, Österreich, Finnland, Holland und Schweden.